von Inga Detleffsen 4 Min Lesezeit X Facebook LinkedIn

Neue Genomische Techniken: Erste Reaktionen zur EU-Entscheidung

Am späten Mittwochabend (3.12.25) war sich „die EU", sprich Parlament, Rat und Kommission, in den Trilog-Verhanldungen einig: NGT1-Pflanzen, d.h. solche, die auch in der Natur bzw. durch konventionelle Züchtung auftreten können, sollen von den meisten Regelungen der EU-Gesetzgebung über genetisch modifizierte Pflanzen ausgenommen werden.

Pflanzensetzlinge
© Pixabay

So lautet das (bisher provisorische) Ergebnis der Verhandlungen, das von Parlament und Rat noch in einer 2. Lesung durchgewunken werden muss. Die Reaktionen auf die Entscheidung bleiben nicht aus - es folgt ein erster Einblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Frankreich: Zwischen wichtigem Fortschritt und großen Risiken 

„Angesichts der Auswirkungen des Klimawandels brauchen Landwirte neue Tools“, erklärt EU-Abgeordneter Pascal Canfin. NGT-Saatgut bleibe im gleichen Genpool, beschleunigte natürliche Prozesse, statt diese zu verändern und könne bei Dürren, Hitze oder der Reduktion von Düngemittel helfen. Die Notwendigkeit, die Konsumenten über den Einsatz von NGT1-Saatgut zu informieren, sieht er nicht: Wer sicher sein möchte, keine entsprechend veränderten Pflanzen zu verzehren, könne Bio-Erzeugnisse kaufen, da diese auf Wunsch der Bio-Verbände vom Einsatz neuer genomischer Techniken ausgenommen wurde, so Canfin. Die Einigung sei ein wichtiger Fortschritt für europäische Landwirte, um sich an den Klimawandel und seine Folgen anzupassen, gehe aber nicht so weit, wie es Modelle der USA oder Brasilien täten, weshalb er diesen Kompromiss Anfang 2026 zu unterstützen gedenke, betont der französischstämmige Abgeordnete und Koordinator von „Renew Europe“ auf LinkedIn.

Kritische Stimmen gibt es in der Tageszeitung Le Monde unter Bezug auf AFP zu lesen: „Wir spielen den Zauberlehrling, nehmen den Konsumenten ihre Entscheidungsfreiheit“ und „treiben die Landwirte in die Arme globaler Großkonzerne“, mahnte der sozialistische EU-Abgeordnete Christophe Clergeau im Parlament. Die Organisation Pollinis, die sich v.a. für Insektenschutz einsetzt, befürchtete „große Risiken für unsere Landwirtschaft und unsere Ernährung“, und die ausbleibende Info an die Verbraucher sei „ein Angriff auf die Grundrechte der Konsumenten“, wird die zur NGO gehörende Charlotte Labague zitiert.

„Frankreich, das sich bisher erfolgreich gegen transgene GMO gewehrt hat, läuft Gefahr, von den neuen genomischen Techniken überrannt zu werden“, stellt die unabhängige Umweltjournalistin Juliette Duquesne zur EU-Entscheidung auf LinkedIn fest.

Deutschland: Bioland sieht NGT als „trojanisches Pferd"

Warnende Worte auch aus Deutschland, für Bioland-Präsident Jan Plagge handelt es sich um ein „trojanisches Pferd“: „Unter dem Deckmantel des Fortschritts schleichen sich Risiken, Abhängigkeit und Konzerninteressen in unsere Felder und auf unsere Teller“, Europa begebe sich in Abhängigkeiten von Konzernen. Wenn diese „die volle Kontrolle über Saatgut und Patente und damit über die Ernährungssouveränität Europas“ übernähmen, werde es „kaum möglich“ sein, diese „im Nachhinein wieder zu entreißen“, hieß es in einer Mitteilung des Verbands, der Konsumenten, die Landwirtschaft und die Züchtung aufruft, den Entwurf im Frühjahr 2026 durch gemeinsamen Widerstand zu stoppen. 

Für die Generalsekretärin des Deutschen Bauernverbandes, Stefanie Sabet, war die mögliche Einführung von Patenten ein wichtiger Aspekt. Diese dürften den Züchtungsfortschritt nicht blockieren, erklärte sie noch vor dem Trilog: „Wenn zentrale Pflanzeneigenschaften von einzelnen Unternehmen monopolisiert werden, verlieren unsere Landwirte und kleine und mittelständische Züchter den Zugang zu wichtigem genetischem Material”. Allein in Deutschland hätten rund 150 Betriebe „leistungsfähigere, widerstandsfähigere und regional angepasste Sorten“ entwickelt - diese Strukturen zu gefährden, hätte weitreichende Folgen, warnte Sabet. 

Einer Mitteilung des EU-Parlaments zufolge sollen Patente zwar möglich sein, allerdings nicht für natürlich vorkommende oder biologisch erlangte Eigenschaften. Abgeordnete hätten zudem Schutzmechanismen eingefügt, um Marktkonzentrationen zu verhindern sowie um „die Erschwinglichkeit und einen fairen Zugang für Landwirte zu gewährleisten“, die das Recht behalten sollen, Saatgut aufzubewahren und wieder anzupflanzen, heißt es dort weiter. Außerdem werde die Kommission gemeinsam mit Interessensgruppen spätestens 18 Monate nach Inkrafttreten der Verordnung einen „EU-Verhaltenskodex für Patente“ ausarbeiten. 

Coldiretti: NGT als „Chance"

Für den italienischen Landwirtschaftsverband Coldiretti stellen NGT eine „außerordentliche Chance für die Landwirtschaft dar“, wie Präsident Ettore Prandini betonte. Die neuen genomischen Techniken seien nicht mit herkömmlicher Gentechnik zu vergleichen, sondern reproduzierten gezielt Mechanismen der natürlichen Auslese und „gewährleisten eine vollständige Kompatibilität mit dem italienischen Landwirtschaftsmodell, das auf Qualität, Sicherheit und Nachhaltigkeit basiert“, so Prandini. Für Mario Pezzotti, Professor für Agrargenetik an der Universität Verona, geht der Tag in die Geschichte ein. Die Entscheidung bringe die Wissenschaft einen Schritt voran und fördere die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Landwirtschaft. Coldiretti habe zur Bildung eines europäischen Bündnisses der Länder beigetragen, die seit jeher gegen herkömmliche Gentechnik waren, die Bedeutung der NGT für die Zukunft der Landwirtschaft jedoch erkannt hätten, ergänzte Prandini. Nun gelte es, die NGT schnellstmöglich für den Einsatz verfügbar zu machen, betonte er abschließend.

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