Foto: Anzeige aus der F.A.Z vom 9/9/20

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Dass sich die in die Brexit-Verhandlungen involvierten Parteien nichts schenken und die Gespräche über ausstehende Vertragspunkte stocken, wurde in den Medien hinlänglich berichtet. Getreu dem Motto „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ scheint es so, dass der britische Premierminister Boris Johnson nicht nur keine weiteren Zugeständnisse gegenüber der EU machen, sondern Medienberichten zufolge sogar Teile des von ihm bereits unterzeichneten Brexit-Deals ändern will.

Die Zeitung Telegraph zitiert aus einer Mitteilung des Premiers, dass der 2019 geschlossene Deal widersprüchlich sei und umgeschrieben werden müsse, weil sich aus dem Vertrag mit der EU unbeabsichtigte Folgen ergeben haben, die korrigiert werden müssten. Auch wenn es dazu bisher kein offizielles Statement gibt, erklärte Nordirland-Minister Brandon Lewis, dass am 9. September ein sogenanntes Binnenmarktgesetz vorgelegt werde, das Teile des Abkommens, vor allem Vertragsklauseln zu Nordirland, aushebeln würde. Insbesondere soll es dabei um eine Aufhebung der mit der EU vertraglich vereinbarten Deklarationspflicht für Waren gehen, die von Nordirland aus in das Vereinigte Königreich eingeführt werden.
Mal ganz abgesehen davon, dass Experten dies als eine Verletzung des internationalen Rechts interpretieren – wenn man Lewis Glauben schenken darf, zum Glück nur in „sehr begrenztem Maße“ - wird sich vermutlich nicht nur Brüssel ungläubig die Augen reiben ob der abstrusen Vorhaben, die sich auf der anderen Seite des Ärmelkanals abspielen. EU-Parlamentspräsident David Sassoli zeigte sich verärgert: „Jeder Versuch des Vereinigten Königreichs, den Vertrag zu unterminieren, hätte natürlich ernste Konsequenzen.“ Und auch im Vereinigten Königreich stößt Johnsons Vorhaben auf wenig Verständnis: „Wie kann die Regierung angesichts dessen künftigen internationalen Partnern versichern, dass sie darauf vertrauen können, dass Großbritannien die rechtlichen Verpflichtungen in unterzeichneten Abkommen einhält?“, warf die ehemalige Premierministerin Theresa May in die Diskussion ein. Und Jonathan Jones, Chefjustiziar der Regierung, sah anscheinend keine andere Möglichkeit, als zurückzutreten.
Ein harter Brexit scheint zumindest aktuell noch unabwendbarer als zuvor. Die aktuellen Geschehnisse dürften jedenfalls bei den Handelspartnern in der Europäischen Union Zweifel wecken, wie sich das zukünftige bilaterale Verhältnis gestalten und unter welchen Bedingungen London überhaupt zu seinem Wort stehen wird. In der heutigen Ausgabe der FAZ warb die britische Regierung in einer ganzseitigen Anzeige jedenfalls vorsorglich schon einmal für Vertrauen. Man möge sich auf der britischen Regierungswebseite über neue Regelungen vertraut machen, heißt es dort. Es folgt die Empfehlung an die EU-Handelspartner: „Informieren Sie sich. Bereiten Sie sich vor. Und weiter geht’s!“ Mancher in der EU dürfte da wohl antworten wollen: „Hoffen wir das Beste!“ c.w./m.s.